Joachim Ringelnatz (Wurzen 1883–Berlin 1934)
Küstenlandschaft mit Lampions
1932
Aquarell auf Bleistift
27,1 cm x 35,3 cm
Signatur: u.l. signiert und datiert: Joachim Ringelnatz . 32; verso in anderer Schrift: "Für Muschelkalk mit herzlichen Grüßen und Wünschen. 1946"
Inv.Nr.: L14, Dauerleihgabe aus Privatbesitz
Die querformatige Küstenlandschaft von Ringelnatz entstand 1932 und wurde zunächst sorgfältig mit Bleistift auf Papier skizziert und dann als Aquarell ausgeführt. Welchen Weg das Blatt bis 1946 genommen hat, als es laut rückseitiger Inschrift Ringelnatz' einstiger Frau Muschelkalk, seit 1939 mit Norbert Gescher verheiratet, geschenkt wurde, ist nicht bekannt.
Im Vordergrund ziehen dreizehn kugel- oder zylinderförmige Lampions, die eine luftige, auf- und abwippende Reihe bilden, den Blick des Betrachters auf sich. Verbunden sind sie durch ein kaum wahrnehmbares Seil, das von zwei sich nach oben hin verjüngenden hölzernen Stangen in der Luft gehalten wird. Dadurch, dass die langen, in unterschiedlichen Höhen endenden Stangen schräg von rechts unten nach links oben verlaufen, teilen sie die Bildfläche spannungsreich in drei Bildabschnitte. Da ihre Halterung nicht zu sehen ist, bleibt offen, von wo der erhöhte Betrachter seinen Blick auf die bergige, karge Küstenlandschaft richtet, die sich über einem schmalen Küstenstreifen in der gleichen braunen Farbe wie die der Stangen erhebt. Dieser nahezu waagerecht angeordnete Küstenstreifen hat etwa die Breite der Stangen und teilt das Bild in zwei Hälften. Die gesamte untere Bildhälfte wird vom Wasser ausgefüllt, dessen Farben von links nach rechts von intensiv leuchtendem Gelb, Orange, über blasses Graugrün bis ins papiersichtige Weiß changieren. Auf dem Wasser ist ein kleines, mit mehreren Personen beladenes Ruderboot nur zu einem Teil zu sehen, da dessen Mittelteil von der rechten Stange überschnitten wird. Etwa das untere Drittel der oberen Bildhälfte nimmt die unwirtliche Bergkette mit ihren dunklen Schattenseiten ein, über der sich die feuerfarbene Himmelszone ausbreitet. Die Farbpalette der scheinbar vegetationslosen Bergkette reicht von Ocker, gebrochenem Orange, zu Hell- und Dunkelbraun. Im Mittelgrund sticht eine in dunklem Braun gehaltene erhöhte Landzunge heraus, auf deren flacher Kuppe sich ein beflaggter Turm in schwarzer Farbe, weiß gehöht, erhebt, zu dessen Füßen sich ein, mit einem schwarzen Zaun abgegrenztes, Grundstück mit einem Gebäude befindet.
Die klare, ausgewogene Bildaufteilung, die beruhigte See, in der sich die Farben des Himmels spiegeln, die dominant verwendeten warmen Licht- und Erdfarben vermitteln eine harmonische Gesamtstimmung. Der senkrecht aufragende Turm zeugt vom menschlichen Eingriff in diese scheinbar seit Ewigkeiten bestehende Naturlandschaft. Ephemere Leichtigkeit dahingegen vermitteln die winzigkleinen zarten Ruderer und die ostasiatisch anmutende luftig, zarte Lampionreihe, die dem Ganzen nicht zuletzt eine fröhlich-festliche Note verleihen.
Dieses Landschaftsaquarell von erlesener Qualität zeugt von der Gabe des Künstlers, einstmals genau Beobachtetes, Erfahrenes und Gesehenes wirkmächtig in stimmungsvolle eigene Bildwelten umzusetzen.
Literatur:
Bemmann, Helga, Daddeldu, ahoi! Leben und Werk des Dichters, Malers und Artisten Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz. Der Maler, hrsg. von Jürgen Kaumkötter, Zentrum für verfolgte Künste, Berlin 2011.
Ringelnatz. Ein Dichter malt seine Welt, hrsg. von Frank Möbus u.a., Göttingen 2000, WV 138, S. 290.
Ringelnatz „in Privathand“. Auf den zweiten Blick, hrsg. Sabine Jung, Kulturhistorisches Museum Wurzen, Beucha 2016, S. 24f.