Dieter Goltzsche (*Dresden 28.12.1934)
Ringelnatz frei nach Max Schwimmer
Berlin 1993
Feder, Bleistift, Farbstift, Aquarell
H 30 cm x B 21 cm
Inv. Nr. V4666K
Die farbige Zeichnung mit dem Ringelnatzbildnis des in Berlin lebenden Malers, Grafikers und Zeichners Dieter Goltzsche ist eine Hommage an den vielseitigen Seemann, Kabarettisten, Lyriker, Maler und Lebenskünstler Ringelnatz sowie zugleich seinen einstigen Lehrer, den Maler, Grafiker und Illustrator Max Schwimmer (Leipzig 9. Dezember 1895 – Leipzig 12. März 1960), bei dem er von 1952 bis 1957 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert und dessen einziger Meisterschüler er von 1958 bis 1959 an der Deutschen Akademie der Künste in Berlin ist.
Schwimmer schließt sich als junger Künstler an die Leipziger antibürgerliche Kabarett-Szene an, die von Hans Reimann, Erich Weinert, Slang (Fritz Hampel) und Ringelnatz dominiert wird. Mit "Die Retorte" gründet Reimann sein eigenes politisch-satirisches Kabarett, in dem neben ihm Walter Mehring, Max Herrmann-Neiße, sein "Hausdichter" Erich Weinert sowie der mit ihm lebenslang befreundete Joachim Ringelnatz auftreten. Schwimmer arbeitet für linke Zeitschriften und Kabaretts, auch in der "Retorte", wo er Ringelnatz kennenlernt.
Schwimmer, der mal expressiv oder impressionistisch, mal mit Kohle, Aquarell, Öl oder Tusche zeichnet und eine freie, sehr persönliche Handschrift entwickelt, zeichnet Ringelnatz, der seit den 1920er Jahren auf der Bühne mit seiner Kunstfigur Kuttel Daddeldu im Matrosenanzug populär wird, als Ganzfigurenbildnis in starker Verkürzung im Matrosenanzug und mit Weinglas in seiner Rechten, die andere Hand locker am Hosenbein aufgelegt. Vielleicht angeregt durch seinen Lehrer Max Schwimmer, beschäftigt sich auch Goltzsche schon früh mit der Literatur: Neben zahlreichen freien Blättern zur Literatur entstehen literaturbezogene Zeichnungen und grafische Arbeiten, die der Künstler in mehr als 60 illustrierten Büchern publiziert. Über die Jahre hinweg setzt er sich auch immer wieder mit Ringelnatz künstlerisch auseinander.
Bei diesem, an Schwimmers Zeichnung angelehnten, Blatt versetzt er den dort wie von einer erhöhten Zuschauerposition auf einer imaginären Bühne stehenden Ringelnatz in einen konkreten Raum. Auch wechselt der Betrachterstandpunkt in ein direktes Gegenüber. Die herausstechenden Merkmale des Ringelnatzkopfes, die den Künstler auch mit wenigen Strichen charakterisieren und stilisieren lassen – seine starken Augenbrauen, seine große Nase, sein vorstehendes Kinn – werden von zahlreichen zeitgenössischen Künstlern wie Ernst Moritz Engert, Rudolf Großmann, Olaf Gulbransson, Otto Fischer-Lamberg oder Renée Sintenis in ihren Künstlerporträts oder Karikaturen verarbeitet.
Weit verbreitet sich zum Beispiel die Ringelnatz-Karikatur von Stengel, die ab 1922 auf Autogrammpostkarten und in Programmheften veröffentlicht wird. Hier allerdings, ebenso wie in einem Ringelnatzbildnis von Rolf Hoerschelmann, das zwischen 1934/1947 entsteht, wird Ringelnatz im Anzug mit Krawatte dargestellt.
Die Ringelnatzzeichnung von Goltzsche gehört zu den insgesamt zwölf Zeichnungen des Künstlers, die das Museum zu Jahresbeginn käuflich erworben beziehungsweise geschenkt bekommen hat.