Modell eines Segelschiffes
1. H. 20. Jahrhundert
Holz, Textil, Lack
H 48 cm x B 60 cm x T 25 cm
Inv.-Nr. V3365Hc
„Wir Deutschen packten unsere Sachen und machten uns auf die Suche nach der ‚Elli‘. Der Bootsmann nahm die führende Stelle ein. Endlich entdeckten wir das eiserne Vollschiff, das wir suchten. Es war allerdings kein Vollschiff und war auch nicht aus Eisen, sonders es war eine kleine hölzerne Bark mit schwarz gestrichenem Rumpf. Drei Masten ragten von ihr in die Höhe, die mit Stangen, Tauen und sonstigen schmutzigen, mir ganz fremden Gegenständen wie mit einem Spinnengewebe übersponnen war. […] Am Hinterteil des sargähnlichen Baues stand mit goldenen Buchstaben der Name ‚Elli‘ und darunter der Heimatshafen des Schiffes ‚Oldersum‘.“
So beschreibt Joachim Ringelnatz das erste Schiff auf dem er 1901 seine Seemannstätigkeit begonnen hat und im Hafen von Le Havre an Bord ging. Bei der „Elli“ handelte es sich um eine 42,42 m lange, 8,76 m breite und 6,27 m tiefe Bark, Baujahr 1877. Unter dem Namen „Louis IX“ führte es die französische Flagge, bis 1901 sieben Anteilseigner das Schiff erwarben und der Heimathafen zu Oldersum in Ostfriesland wechselte. Geführt wurde das Schiff durch Kapitän W. G. Pommer.
Ringelnatz stach mit der „Elli“ am 18. April 1901 zu seiner ersten Reise in See. Der Weg führte ihn mit einer Ladung Steine an Bord nach Belize. Er beschreibt diese Zeit ausführlich in seiner Biografie „Mein Leben bis zum Kriege“ (1931). Entbehrungen, harte Arbeit, gähnende Langeweile und Hänseleien, insbesondere durch den Steuermann Carsjens (von Ringelnatz „Karstens“ genannt), standen an der Tagesordnung und machten ihm das Seemannsleben schwer. So desertierte Ringelnatz nach der Ankunft in Belize und versteckte sich für drei Tage im Dschungel. Wieder gefasst, trat er seinen Rückweg auf der „Elli“ an. Diesmal mit Holz beladen, lag der Rumpf so tief, dass die Mannschaft regelmäßig an die Pumpen musste, um eindringendes Wasser herauszupumpen. Mit Anlegen in Liverpool musterte Hans Gustav Bötticher, trotz des Angebots des Kapitäns mit einer Ladung Kohle nach Brasilien zu fahren, ab. Der „Elli“ war kein langes Seefahrtsleben beschieden: Bereits 1902 notiert das Seeamt in Emden, dass die Bark aufgrund eines nautischen Fehlers eben jenes Steuermanns Carsjens am Kap Orlov in der Nähe von Murmansk gestrandet ist. Die Mannschaft konnte sich mit Hilfe des Beiboots retten. Das Schiff jedoch ging verloren und wurde aus dem Schiffsregister gestrichen.
Eine genaue Vorstellung vom Aussehen der „Elli“ ermöglicht ein Gemälde des Rostocker Schiffbau- und Schifffahrtsmuseums. Das Ölgemälde eines unbekannten Malers stellt die „Elli“ in stürmischer See dar. Zweifelsfrei handelt es sich um das Schiff, über dessen Deck Bötticher lief.
Für das Schiffsmodell wird das Gemälde wohl kaum Vorbild gewesen sein. Man erkennt sehr gut den niedrigen Rumpf, die drei Masten und die Lage der Segel. Auf dem Gemälde führt das Schiff noch die französische Flagge, das Modell wurde ohne Flagge angefertigt. Ringelnatz' Beschreibung, dass das Schiff ganz mit Tauen und Stangen „übersponnen“ war, kann man durch die Darstellung des Modells ebenfalls gut nachvollziehen.Beim Schiffsmodellbau werden verkleinerte Nachbildungen sämtlicher Arten von Schiffen hergestellt. Dabei gibt es verschiedene Maßstäbe und Ausführungen, sowohl das Material als auch die Technik betreffend. Schiffsmodelle werden entweder aus Kunststoff oder Holz gefertigt. Häufig sind sie mit Segeln ausgestattet. Stand in den 1950er Jahren das eigenhändige Herstellen solcher Modelle, auch die bekannten Varianten eines Schiffs in einer Flasche, hoch im Kurs, so avancieren die Miniaturen in den 1970er Jahren zu Sammlerstücken.
Mit herzlichem Dank an das Schifffahrtsmuseum Rostock und das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven für die Bereitstellung von Literatur sowie der Abbildung.
Literatur:
P. Danker-Carstens, Joachim Ringelnatz` erste Reise als Schiffsjunge auf dem Segler ELLI, in: Deutsches Schifffahrtsarchiv 30 (2007), S. 347-352.
M. Mittelstedt, Der Dichter Joachim Ringelnatz (Hans Bötticher) und die Bark „Elli“ aus Oldersum, in: Der Albatros, Heft 3 (2004), S. 106.
Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Joachim Ringelnatz, Bd. 6, Mein Leben bis zum Kriege, hrsg. von W. Pape, Zürich 1994.