Skizzenbuch mit Pflanzenstudien
Johannes Brauer (8.9.1905 Meerane – Ebersdorf bei Bad Lobenstein 1992)
nach 1945
109 Blatt, unpaginiert, 107 Zeichnungen, Feder, Deckfarben auf Papier, Textileinband mit Leinen
Höhe 15 cm, Breite 11 cm, Tiefe 1,5 cm (Buchmaß)
Inv.Nr.: V4641K
Das unsignierte, sauber geführte Skizzenbuch, in dem diese malerische Studie einer blühenden Kissenprimel (Hybride von Primula vulgaris) festgehalten wurde, enthält mit insgesamt 107 einheimischen Pflanzendarstellungen eine Fülle an Naturstudien von Frühblühern, darunter auch verschiedene Blütenzweige von Obstbäumen. Die einfachen Blüten der Primel erscheinen in kräftig leuchtenden Farben, in hellem bis dunklen Violett und Orange. Ihre Strahlkraft wird dadurch verstärkt, dass die grundständigen lanzettlichen, nach unten umgerollten Blätter, eigentlich von sattem Dunkelgrün, und das Wurzelsystem (Rhizom) in blassen Grün- und Brauntönen koloriert sind. Auf der Grundlage genauer Naturbeobachtung liegt der Fokus dieser kunstvollen und botanisch korrekten Zeichnungen auf der Blütezeit dieser Pflanzen. Bei zahlreichen Blumen, wie bei dieser Primel, ist die gesamte Pflanze dargestellt. Das ausgeprägte Interesse an den Formen und Farbverhältnissen der Pflanzen ist ebenso zu spüren wie der ästhetische Blick des Künstlers bei der Wahl des Ausschnitts, der Perspektive oder der Bildkomposition: Hier mischen sich offensichtlich botanische und künstlerische Interessen. Derartige Pflanzendarstellungen in der Kunst lassen sich bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurückverfolgen, ob als dekoratives Ornament oder detailgetreue wissenschaftliche Abbildung. Populär sind beispielsweise Albrecht Dürers Großes Rasenstück (1503) oder Maria Sibylla Merians Blumenbilder.
Der im Genre der Blumenbilder in dieser Tradition stehende, vielseitig talentierte Künstler Johannes Brauer entwickelte hierin eine beachtliche Meisterschaft. Sein darüber hinaus reichendes kreatives Talent äußerte sich in dem umfangreichen Schaffen als Grafiker, Maler und Bildhauer. Sein merkantiles Geschick zeigte sich in der Gründung des Leipziger Scholle-Verlags (um 1945/46), zu dem auch eine Druckerei für Grafik-Editionen gehörte. Die Skizzenbücher des Künstlers dienten hierbei als ergiebiges Reservoir an Zeichnungen für kleinformatige Druckerzeugnisse, wie etwa seiner Blumen-Radierungen. Da zu seinem Œuvre, das Landschafts- und Tiermotive, Arbeitsdarstellungen aus Industrie und Landwirtschaft, Porträts, Figürliches sowie Stillleben in realistischer Auffassung umfasst, noch kein Bestandskatalog vorliegt, ist offen, in welchem Umfang er mit grafischen Einzelblättern und Serien in Mappen- und Buchform gehandelt hat.
Doch zunächst schlug Brauer eine handwerkliche Karriere ein, indem er eine Schlosserlehre absolvierte. Seiner Berufsausbildung folgte ein Studium mit Abschluss als Betriebsingenieur. Am Ende der Zwanzigerjahre begann er in Leipzig Abendkurse an der „Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe“ zu belegen und erweiterte dort von 1932 bis 1934 mittels eines Studiums seine Fähigkeiten. Die Radierer und Maler Bruno Héroux (1868-1944) und Alois Kolb (1875-1942) dürften Brauers Vorliebe für die Radierung, ein grafisches Tiefdruckverfahren, bei ihrem Meisterschüler hervorgebracht haben. Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erzielte Brauer erste Erfolge, etwa mit einer Tierkleinplastik auf der Münchener Kunstausstellung.
Hauptberuflich blieb er bis 1945 als Schlosser und Ingenieur tätig. Von März 1943 bis Juni 1944 arbeitete er in der Betriebsverwaltung und später als Bauleiter in der Erla Maschinenwerk GmbH (Flugzeughersteller; Rüstungsbetrieb) in Leipzig. Parallel dazu ging Johannes Brauer seiner künstlerischen Leidenschaft nach. Häufig und akribisch hielt er alles, was ihn interessierte in seinen Skizzenbüchern fest. Bei der anschließenden Verlagsarbeit unterstützte ihn seine Frau, die er 1924 geheiratete.
1956 zog das Ehepaar von Leipzig nach Waldsteinberg bei Wurzen. In den folgenden Jahren stieg Brauers Popularität, der seine größten Ausstellungserfolge in den sechziger Jahren hatte. Seine Werke wurden in vielen Museen der DDR, aber auch international präsentiert, darunter in Ausstellungen 1962 und 1965 im Kreismuseum Wurzen sowie 1985 im Ringelnatzhaus Wurzen.
Das Kulturhistorische Museum Wurzen bewahrt einen umfangreichen, größtenteils uninventarisierten Teilnachlass des Künstlers, welcher vorrangig sein zeichnerisches Œuvre umfasst.
Literatur
Hübscher, Johannes Brauer. Maler und Grafiker, in: Rundblick 1986 (33,1), S. 21f.
F. Hinneburg, „Brauer, Johannes (1905)“, in: Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank - Online redigiert von Andreas Beyer, Bénédicte Savoy and Wolf Tegethoff. Berlin, New York: K. G. Saur, 2021. https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_10140106/html