Musterkoffer mit Filzmustern der J. D. Weickert Filzfabrik A.-G.
Wurzen 1933
Metall, Leder, Holz, Papier, Filz
L 30 x B 21 x H 3 cm
Inv. Nr. V6435H
Lauscht man in einem klassischen Konzert den Klängen eines Flügels oder Klaviers, kann es gut sein, dass der gute Klang dem verbauten Filz aus Wurzen zu verdanken ist. Seinen Ursprung nimmt diese Erfolgsgeschichte 1783 mit der Gründung einer Werkstätte für optische Instrumente durch Johann Dankegott Weickert (1751 – 1816). Unter dessen Sohn entwickelt sich das Geschäft zu einem Engros-Geschäft in Werkzeugen und Eisenwaren weiter. Unterdessen erfindet in Leipzig der Hutmachermeister Friedrich Wilhelm Patzschke (1783 – 1857) einen ersten brauchbaren Filzbezug für die Hammerköpfe von Klavieren, um den bisherigen Lederbezug zu ersetzen. Gemeinsam mit Weickert entsteht die industrielle Fertigung dieses hochwertigen Filzes. Bereits in den 1850er Jahren erhält das Produkt zahlreiche Auszeichnungen bei Weltausstellungen. Die Produktion zieht mehrmals um, entweder wegen ungünstiger Bedingungen oder für die große Nachfrage bald zu klein werdender Räume. Schließlich siedelt sich das Unternehmen im Mühlgraben der prosperierenden Industriestadt Wurzen an. Es entstehen großzügige Produktionsflächen und 1883–84 eine Villa für den Betriebsdirektor.
Unter den nun idealen Bedingungen wächst die Firma rasch weiter. Die Produktion wird auf alle technischen Filze erweitert. 1899 beschäftigt das Unternehmen 75 Arbeiterinnen und Arbeiter. Bereits 1925 sind es 350. 1903 wird Filz für 200.000 Pianofortes produziert und international verschifft. Abnehmer sind renommierte Klavier- und Flügelhersteller wie Blüthner und Steinway in New York. Einen großen Umbruch erlebt die Firma 1929, als sie sich infolge der Weltwirtschaftskrise in eine Aktiengesellschaft umwandelt. Nach wie vor besetzen Mitglieder der Familie Weickert Sitze im Vorstand der AG, während der Betriebsdirektor der Wurzener Familie Patzschke entstammt.
In den folgenden Jahren floriert die Produktion weiter. Bereits 1937 wird die Aktiengesellschaft wieder in ein von einer Person geführtes Unternehmen umgewandelt. Inhaberin ist die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Alice Weickert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Unternehmen zunächst unter Treuhandverwaltung gestellt. 1952 erfolgt die Enteignung der Familie Weickert. Es entsteht der VEB Filzfabrik Wurzen.
Nach der Wiedervereinigung erwirbt Klaus Brand mit Unterstützung seines Sohnes und mit Zustimmung der Familie Weickert das Unternehmen aus der Treuhand. Durch umfangreiche Investitionen entsteht eine moderne Produktion, die ihren Schwerpunkt wieder auf Hammerkopfoberfilze und andere technische Filze legt. Exportiert werden die Produkte weltweit.
Um neue Kundschaft zu erreichen, sind stets Vertreter mit Produktbeispielen unterwegs und sprechen potenzielle Käufer an. Der Musterkoffer aus dem Jahr 1933 enthält 28 verschiedene Filzmuster, markiert mit kleinen, runden Etiketten mit der entsprechenden Typbezeichnung. Im Kofferdeckel zeigt ein Druck das Firmengelände zusammen mit dem Gründungsjahr sowie einem Vermerk des 150-jährigen Firmenjubiläums. Das Firmenlogo zeigt nach wie vor die Initialen des Gründers JDW. Der Koffer hat einen Lederbezug, der Innendeckel ist lila eingefärbt. Zwei Metallschnapper dienen als Verschluss. Da es sich um einen eher kleinen, flachen Koffer handelt (ungefähr A4 Format) wäre auch eine postalische Zusendung des Musterkoffers an Interessenten denkbar.
Musterkoffer und reisende Vertreter gab es zum Vertrieb aller möglicher Produkte. Wer kennt nicht die Stifte der Firma Faber-Castell. Auch hier beginnt das Unternehmen mit den Handelsreisen von Kaspar Faber ab 1843. Im Museum Wurzen werden auch Musterkoffer der Tapeten- und Teppichwarenfabrik bewahrt. In anderen Museen finden sich Koffer für Tee (Bünting Teemuseum), Zigarren (Heimat- und Hugenottenmuseum Friedrichstal), Glaserzeugnisse (Villeroy und Boch, Museum Baruther Glashütte), Spielzeug (Städtisches Museum Welzheim) oder Spirituosen (Schwäbisches Schnapsmuseum Bönnigheim). Die ältesten stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die meisten gut erhaltenen aus der Zeit zwischen 1900 und 1940.
Den Musterkoffer konnte das Museum im letzten Jahr, mithilfe eines Mitgliedes des Freundeskreises des Museums erwerben.
Literatur
R. Klinkhardt, Die Wurzener Industrie 1797–2002, S. 163-166.
https://nat.museum-digital.de/search?q=musterkoffer [Online-Ressource, letzter Zugriff: 06.06.2024].