Hans-Peter Hund (Wurzen 16. 10. 1940 – Wurzen 26. 02. 2023)
Wurzener Fabrik im Winter
Wurzen 1966
Öl auf Pappe
H 56,5 cm x B 71,5, cm
Inv.Nr. V2950K
Hans-Peter Hund gehört zu den bedeutendsten Künstlern von Wurzen und des Landkreises Leipzig. Über viele Jahrzehnte ist ein umfangreiches, in sich geschlossenes künstlerisches Œuvre entstanden, das Gemälde, Zeichnungen, Pastelle, Monotypien, Holzschnitte und Aquarelle umfasst und in zahlreichen ostdeutschen Museen und Galerien sowie in Privatbesitz vertreten ist.
Bereits als Dreizehnjähriger reift in dem religiös geprägten, naturliebenden Jungen der Wunsch, Maler zu werden. Sein Zeichenlehrer Rudolf Wiegand ermutigt ihn darin. Als Maler weitgehend Autodidakt, erwartet ihn ein entbehrungsreiches, wechselvolles Künstlerleben. Nach seiner Ausbildung zum Dekorationsmaler (1955–1958) studiert er an der Fachschule für angewandte Kunst in Potsdam (1959–1962). Westberliner Ausstellungen des Fauvismus und Expressionismus prägen sein Schaffen maßgeblich. Als freischaffender Maler und Grafiker kehrt er 1962 in seine Heimatstadt zurück. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Nebenarbeiten als Schrift- und Stubenmaler. 1965 wird er in den Verband Bildender Künstler Deutschlands aufgenommen, seitdem ist er auf den Kunstausstellungen des Bezirkes Leipzig vertreten; seit 1967 ist er in den Deutschen Kunstausstellungen in Dresden präsent.
Diese kraftvolle winterliche Stadtansicht Wurzener Fabrik im Winter steht exemplarisch für seine frühen Arbeiten. Im Bildhintergrund sind silhouettenhaft die für Wurzens Identität prägnanten Mühlentürme des VEB Nahrungsmittelkombinats „Albert Kuntz“ (NAK) zu sehen (ehemals: „Wurzener Kunstmühlenwerke und Biscuitfabriken vorm. F. Krietsch AG“). Für die aus Leipzig Anreisenden wirken die beiden von dem Leipziger Architekten Max Fricke entworfenen Mühlenarchitekturen (1917–1924) aus der Ferne wie eine mächtige Kathedrale, deren Türme bis heute zusammen mit den Türmen von Schloss, Dom und Stadtkirche St. Wenceslai die Silhouette der Stadt prägen. Hund malt hier in einem kubistisch-expressionistischen Stil. Vordergründig kommt es ihm nicht auf ein genaues Stadtporträt an. Er ist insbesondere an Formen und Farben interessiert, an Stimmungen, Emotionen, die er mit dem Winterbild transportieren kann. Mit wildem Pinselstrich und dickem Farbauftrag hat er das Motiv auf das für ihn Wesentliche reduziert. Den freien Blick auf die Fabrik versperren meist dünnstämmige entlaubte Bäume. Sie unterstützen den Vertikalzug der großenteils zur grauen Fläche reduzierten Mühlenarchitektur und verdecken die in der Bildmitte platzierten kubischen Haus- und Schuppenarchitekturen mit ihren grauen und violetten Fassaden, deren Dächer im Kontrast dazu blauviolett und blassrosa leuchten wie die schneebedeckten Wege oder Baumwipfel. Tief steht am lebendigen, überwiegend grau-blauen wolkenschweren Winterhimmel die Abendsonne in Dunkelrosa. Erd- und Ockertöne, ein wenig leuchtendes Blau und Lila lassen das schlichte Motiv kostbar erscheinen.
Bei den offiziellen Instanzen in Wurzen fallen sein auf Ausdruck des Gefühls durch Farbe ausgerichtetes künstlerisches Streben und sein den Vorstellungen von sozialistisch-realistischer Kunst unangepasster, melancholischer Stil nicht auf fruchtbaren Boden. Öffentlichen Widerspruch erregen seine dunkeltonige Farbigkeit und seine den offiziellen Leitbildern nicht entsprechenden Porträts bereits 1963 in seiner ersten Einzelausstellung in der Wurzener Buchhandlung „Buch und Kunst“. Es beginnt ein jahrzehntelanges Tauziehen zwischen dem Maler und den politischen Funktionären. Intoleranz auch außerhalb von Wurzen führt zur Schließung von Einzelausstellungen. Eine Ausstellung in der Leipziger Galerie „Wort und Werk“ löst 1967 in der regionalen Zeitschrift „Der Rundblick" eine diffamierende Debatte aus. Verletzende Rückschläge, die den sensiblen Künstler tief treffen und öffentliche Ankäufe zurück gehen lassen. Trotz Einzel- und Gruppenausstellungen steht er am Rand des Kunstbetriebs. Künstlerisch erfüllende Reisen führen ihn zwischen 1973 und 1988 nach Prag, wo er 1975 in der dortigen Nationalgalerie Zeichnungen und Aquarelle ausstellt. Wie überall, so auch in Prag, entstehen Hunds Aquarelle – menschenleere Stadtlandschaften – ohne Vorzeichnung direkt in der Natur. In der Aquarellmalerei, in der Landschaften und Blumenstillleben in frühlingshaften und herbstlichen Farben dominieren, erlangt er höchste Meisterschaft und internationale Anerkennung.
1979 beginnt er mit seinen zum Markenzeichen gewordenen Himmel-Aquarellen. Da diese immer am selben Standort in flacher Ebene und stets mit demselben Bildaufbau entstehen, entfalten sich vor dem Auge des Betrachters im Vergleich der schier zahllosen Momentaufnahmen eine Fülle an Naturzuständen und Wetterlagen. Auf diese Weise entstehen stille, hochbeeindruckende Zeugnisse des immerwährenden Wandels und der Veränderung der Natur, der Welt, tagebuchähnliche Seelenbilder des Künstlers. Wie in vielen seiner Werke, dominiert hier das Ausloten von erwanderten, durchlebten Stimmungen und Gefühlen mittels einer koloristisch verfeinerten und subtilen Bildsprache.
Mit der deutschen Einheit steht dem spartanisch lebenden Künstler plötzlich die Welt offen. In den neunziger Jahren erschließt er sich voller Neugier und Vitalität neue Bild- und Wissenswelten, reist nach Westdeutschland, Belgien, mehrfach nach Venedig, danach in die Toskana, schließlich in die Niederlande. Das Vor-Ort-Malen blieb stets sein Credo. Dem psychischen Druck indes hält er nicht stand, zwischen 1997 und 2000 kommt seine künstlerische Arbeit völlig zum Erliegen. Ihm gelingt der künstlerische Wiederaufbruch aus der Krise. Er reist erneut und viele Jahre hindurch wiederholt in den warmen Süden, zuerst in die Toskana, wo Zeichnungen und Aquarelle entstehen. 2002 wird ihm der Gellert-Kunstpreis verliehen. Studienreisen nach Sizilien und Griechenland folgen. Nochmals wandelt sich sein künstlerischer Duktus, die Farbpalette wird zunehmend zarter, diaphaner, die hell leuchtenden Farbflächen werden kompakter, die Bildaussagen dadurch noch allgemeingültiger. Das Dunkle, Schwere scheint am Ende getilgt, der innere Frieden – gefunden.
Vielfach werden Hunds Werke ausgestellt, 1981 erneut in der Galerie im Alten Rathaus. Weitere öffentliche Anerkennung in Wurzen findet sein Werk mit Museumsankäufen (ab 1995) und Ausstellungen (2002, 2015). Anlässlich seines 75. Geburtstages findet die letzte größere Einzelausstellung seiner Italienaquarelle in der Städtischen Galerie am Markt statt. Eine Förderung der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen ermöglicht im Jahr 2020 – kurz vor seinem 80. Geburtstag – den Ankauf von 12 Gemälden und Aquarellen. Seitdem steht einer breiten Öffentlichkeit im Museum ein repräsentativer Querschnitt durch sein Schaffen zur Verfügung.
Literatur:
A. Wilhelm, Hans-Peter Hund. Die Gemälde, Ausstellung vom 31. August bis 20. Oktober 2002 in der Städtische Galerie Wurzen, hrsg. von der Stadt Wurzen, Kulturhistorisches Museum mit Ringelnatzsammlung und Städtischer Galerie am Markt, Wurzen 2002.
I. Leps, Hans-Peter Hund. Ein Meister auf der Klaviatur der Farbtöne, in: Sächsische Heimatblätter Bd. 61, Nr. 3 (2015), S. 298-300.