Friedrich Wilhelm Hörnlein (Graveur)
Münzstätte Muldenhütten
1925
Aluminium
7 g, Ø 38 mm
Inschrift: Avers, umlaufend: Die Arbeit ist der Fels auf dem die Kirche der Zukunft erbaut wird. Revers, umlaufend: Zur Erinnerung an Deutschlands schlimmste Zeit. Denkt daran! Im Feld, 7 Zeilen: 1923/ im Nov. kostete/ 1 Pfd. Fleisch 3200 Milld./ 4 Pfd. Brot 840 Milliard./ 1 Ztr. Kartoff. 5000 Milld./ 3 Millionen/ Erwerbslose
Inv.Nr.: V6161G
Im Feld der Vorderseite der unsignierten Medaille ist eine Hand dargestellt, die einen Hammer gerade hochhält, zu dessen Seiten die geteilte Jahreszahl 1925 positioniert ist. Der umlaufende Text in Fraktur lautet: "Die Arbeit ist der Fels, auf dem die Kirche der Zukunft erbaut wird." Hierbei handelt es sich um eine leichte Variation eines zum Motto gewordenen Ausspruchs von Ferdinand Lassalle (1825 Breslau – 1864 Carouge), dem bereits zu Lebzeiten umjubelten, jedoch von Marx und Engels kritisierten Gründervater der deutschen Sozialdemokratie. Dieser hielt am 12. April 1862 auf einer Tagung des Handwerkervereins der Oranienburger Vorstadt von Berlin eine vielbeachtete Rede über den Zusammenhang der aktuellen Geschichtsperiode zur Idee des Arbeiterstandes. Noch im selben Jahr publiziert, ging seine Rede unter dem Titel "Arbeiterprogramm" in den Kanon sozialistischer Literatur ein. Darin äußert er sich zur – seiner Meinung nach – führenden Rolle der Arbeiter, die er mit Blick in die Geschichte als vierten Stand charakterisiert: "Nichts ist mehr geeignet, einem Stande ein würdevolles und tiefsittliches Gepräge aufzudrücken, als das Bewußtsein, daß er zum herrschenden Stande bestimmt, daß er berufen ist, das Prinzip seines Standes zum Prinzip des gesamten Zeitalters zu erheben, seine Idee zur leitenden Idee der ganzen Gesellschaft zu machen und so diese wiederum zu einem Abbilde seines eigenen Gepräges zu gestalten.
Die hohe weltgeschichtliche Ehre dieser Bestimmung muß alle Ihre Gedanken in Anspruch nehmen. Es ziemen Ihnen nicht mehr die Laster der Unterdrückten, noch die müßigen Zerstreuungen der Gedankenlosen, noch selbst der harmlose Leichtsinn der Unbedeutenden. Sie sind der Fels, auf welchen die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll!" Dass dieser selbst auf die Bibel (Mt. 16,18) Bezug nehmende Ausspruch leicht abgewandelt Einzug in öffentlichkeitswirksame Medien der Sozialdemokratie hielt, belegt z.B. eine Sozialismusallegorie, die der Illustrator Friedrich Kaskeline (8. Mai 1863 Prag – 10. Januar 1938 Berlin) für die Ausgabe des humoristisch-satirischen Arbeiterblatts „Die Glühlichter“ vom 1. Mai 1892 beisteuerte (Seite 8).
Dort vereinen sich unter dem Bildnis Lassalles und dem Spruchband "Die Arbeiter sind der Fels, auf den die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll." auf der einen sowie unter dem Bildnis von Marx und dem Spruchband "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" auf der anderen Seite unter der Idee des Sozialismus in Gestalt einer fackeltragenden Frau alle Klassen und Stände, angeführt von den Arbeitern. Symbol dieser gewünschten Einheit ist der lorbeerumkränzte Hammer, vor dem sich zwei Hände vereinigen.
Die Vorderseite von Hörnleins Erinnerungsmedaille nimmt demnach symbolisch (Schmiedehammer als Symbol für den Arbeiter) und verbal dezidiert Bezug auf sozialdemokratische Inhalte.
Die gleichfalls als Schriftkreis gestaltete Mahnung auf dem Revers erinnert an die Zeit der Hyperinflation in der Weimarer Republik im Jahr 1923: "Zur Erinnerung an Deutschlands schlimmste Zeit. Denkt daran!" Die siebenzeilige Inschrift im Feld ruft beispielhaft Preise für Grundnahrungsmittel auf, die damals ins Unermessliche stiegen und bei Lohn- und Gehaltsempfängern zu ständiger Sorge um den Lebensunterhalt führten: "1923/ im Nov. kostete/ 1 Pfd. Fleisch 3200 Milld./ 4 Pfd. Brot 840 Milliard./ 1 Ztr. Kartoff. 5000 Milld./ 3 Millionen/ Erwerbslose".
Der Graveur dieser Medaille ist Friedrich Wilhelm Hörnlein (16. August 1873 Suhl – 13. Februar 1945 Dresden), der seit 1911 in der Münzstätte Muldenhütten bei Freiberg, der Königlich Sächsischen Staatsmünze, die Stelle des Münzgraveurs innehatte. Hörnlein war ein hervorragender Medailleur. Wie er mit seiner Frau und Tochter die Inflationszeit durchlebt hat, ist nicht bekannt. Laut Hartmann stimulierte ihn aber das Erlebnis der Inflation zu einer Reihe von fünf Medaillen, die als Dokumente jener Jahre zu verstehen sind und das starke soziale Engagement des Künstlers belegen. Vier Medaillen entstanden 1923 (Arnold/Fischer/Arnold 1992, Nr. 180-190), die letzte – unsere Medaille – 1925. Bei den Hungermedaillen von 1923 griff der Künstler als Gestaltungsvorbild auf eine 1772 in Zinn gegossene Medaille auf die sächsische Hungersnot von 1771/72 zurück, mit einem "Sachsendenkmal" auf der Vorderseite und den damaligen Preisen für landwirtschaftliche Produkte auf der Rückseite.
Zwischen Mitte August bis Mitte November 1923 kam das Geldprägen in der Münze Muldenhütten ganz zum Erliegen. Nach Hartmann wirkte als Ausgleich ein steigender Bedarf an den von Hörnlein geschaffenen "Hunger- und Wuchermedaillen", womit dieser wenigstens die Arbeitsplätze der beschäftigten Kriegsinvaliden erhalten konnte. Laut Brakteatenbuch der sächsischen Staatsmünze von 1925 (Nr. 31), wo die Medaille als „Gewerkschaftsmedaille“ tituliert ist, wurden 122.000 Exemplare geprägt. Verkauft wurde sie in einem mit rotem Stoff ausgeschlagenen Etui mit der Aufschrift: „Aus Deutschlands schlimmster Zeit!“
Die Medaille stammt aus der Sammlung Hermann Ilgens (22. Juli 1856 Wurzen – 15. April 1940 Dresden), der zu den bedeutendsten Förderern von Kunst und Sport in Dresden gehörte. Bereits 1921 hatte Hörnlein für dessen Hermann-Ilgen-Stiftung eine großformatige Plakette mit Ilgens Bildnis auf der Vorderseite geschaffen (Arnold/Fischer/Arnold 1992, Nr. 167), die zusammen mit einem Ehrenpreis jährlich an Studenten mit hervorragenden Leistungen der Kunstakademie und der Technischen Hochschule Dresden verliehen wurde.
Literatur
Arnold/M. Fischer (†)/U. Arnold, Friedrich Wilhelm Hörnlein. 1873-1945, hrsg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Münzkabinett, S. 88f., Nr. 199, mit Abb. sowie S. 84-86, Nrr. 180-190.
H.-G. Hartmann, Friedrich Wilhelm Hörnlein. Ein bedeutender deutscher Medailleur des 20. Jahrhunderts und der Märzbund, hrsg. von U. Becker im Auftrag der Freiberger Münzfreunde, Freiberg 2018, S. 81-83.
Abbildung: Österreichische Nationalbibliothek: Ausgabe 1. Mai 1892: https://anno.onb.ac.at/anno-suche#searchMode=simple&query=neue+gl%C3%BChlichter&from=1&selectedFilters=title%3Aglu