Berlin, Kindernähmaschinenfabrik F. W. Müller
1905
a) Blech, H 18,5 cm, B 18,5 cm, T 10 cm, V4379Ia
b) Gusseisen, H 17,8 cm, B 20 cm, T 13 cm, V4454H
Die Adventszeit ist seit jeher eine Zeit der Besinnung und des Rückzugs ins eigene Zuhause mit Familie und Freunden. Um 1900 wurden in dieser Zeit Weihnachtsgeschenke noch oft selbst hergestellt und Plätzchen gebacken, in besser gestellten Haushalten begann die Suche nach geeigneten Geschenken für die Kinder. Dabei wurde klar nach der späteren Rolle und dem Geschlecht unterschieden: Mädchen bekamen Puppenstuben mit Anziehpuppen und kleinen Puppenwagen, aber auch Nähmaschinen und Theaterdioramen, Jungs spielten mit Zinnsoldaten, Schaukelpferden und Kreiseln.
Kinder und Spielzeug gehören seit ältesten Zeiten zusammen, das zeigen archäologische Funde. Primitive Spielzeuge werden in der Form vermutet, wie sie als Beigaben in Kindergräbern der Steinzeit aus bearbeiteten Knochen, Steinen oder Ton (puppenähnliche Tongebilde, Rasseln, Pfeifen) gefunden worden. Je besser die kunsthandwerkliche Fähigkeit oder komplexer die Ansprüche an das Spielzeug waren, umso vielfältiger war das Spielzeug. Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich z.B. im Erzgebirge die bis heute bestehende Tradition des geschnitzten oder gedrechselten Holzspielzeuges.
Jahrhundertelang sollten Kinder nur eins, schnell erwachsen werden. Kinderarbeit ab dem Alter von sieben Jahren war keine Seltenheit. Doch abgesehen von selten erhaltenen Originalen belegen zahlreiche Schrift- und Bildquellen wie das Gemälde „Kinderspiele“ (1560) von Pieter Bruegel d.Ä. († 1569), dass es je nach sozialem Status für alle Stände zahlreiche Gelegenheiten zum Spiel und Zeitvertreib gab. Erst Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), der zeit seines Lebens über die ideale Erziehung sinnierte, propagierte im Zeitalter der Aufklärung die Kindheit als etwas Kostbares und Schützenswertes, als entscheidende Phase der Persönlichkeitsentwicklung, in der das Kind spielend lernt.
Im Zuge der Industrialisierung hat sich die Spielzeugindustrie entwickelt. Seinen Ausgang nimmt diese bereits im 15. Jahrhundert in der Reichsstadt Nürnberg. Die günstige topografische Lage an mehreren Handelsstraßen, verbriefte Zollfreiheit und eine hochspezialisierte Handwerkerschaft ließen hier ein Zentrum des Handels und der Produktion von Spielzeug entstehen. Der sogenannte "Nürnberger Tand" wie vollständig eingerichtete Puppenstuben, Holzsoldaten, Steckenpferde, Trommeln und sogar kleine Messingkanonen eroberten den bis dahin bekannten Weltmarkt.
Ab 1850 nimmt die Produktion von Spielzeugen aus Metall und Metallblechen von Nürnberger Werkstätten ausgehend ihren Anfang. Nun kommt das „belehrende“ Spielzeug in Mode: haushaltsübliche Geräte wie Herde oder Nähmaschinen, Lokomotiven und mit Dampfmaschinen betriebene Mühlen oder Riesenräder. Kinder sollten sich spielerisch mit ihren zukünftigen Aufgaben auseinandersetzen und diese erlernen. Kindernähmaschinen wurden seit den 1870er Jahren produziert und dienten nicht nur als Spielzeug, sondern auch als Lernmittel – dazu gedacht, dem damaligen Erziehungsideal folgend, Mädchen auf die ihnen zugedachte Rolle in der Familie und im Haushalt vorzubereiten.
Aus der Zeit der Jahrhundertwende stammen unsere Objekte des Monats Dezember: zwei Kindernähmaschinen. Sie bestehen aus Blech bzw. aus Gusseisen und sind voll funktionstüchtig. Auf die Grundfarbe schwarz wurde einmal ein goldenes Rankendekor mit grünen Blättern und grün-roten Blüten aufgebracht. Die rote Färbung entstand durch einen Wachsüberzug oder eine Wärmebehandlung. Das gusseiserne Modell ist einfarbig rot bemalt. Beide Modelle haben keinen Firmenstempel oder andere Angaben zum Hersteller. Mit Hilfe eines Sammlers von Kindernähmaschinen konnten sie der Firma Müller Modell 15 und 205 Baujahr 1905 zugeordnet werden. Die Berliner Firma Friedrich Wilhelm Müller gründet sich 1868 als Hersteller für Nähmaschinenteile und Stahlapparate. Den Weltmarkt der Nähmaschinenherstellung beherrschte damals die 1851 gegründete amerikanische Firma Singer. 1888 bringt die Firma Müller ihre erste Kindernähmaschine auf den Markt. Aufgrund des Verkaufserfolgs ihrer patentierten Modelle spezialisiert sich die Firma auf die Herstellung von Kindernähmaschinen. Das Familienunternehmen produziert in Konkurrenz zur Firma CASIGE in Westfalen bis 1978 circa 70 verschiedene Modelle bzw. Dekore. Günstigere Importwaren und mangelnde Innovationen führen jedoch zu Absatzproblemen, der Betrieb wird abgemeldet.
Beide Objekte sind in unserer Dauerausstellung im Raum „Puppen, Riesenrad und Dampfmaschine“ neben Puppenhaus, Laterna Magica und Gesellschaftsspielen ausgestellt.
Literatur:
Gröber, Karl; Metzger, Juliane: Kinderspielzeug aus alter Zeit. Schröder, Hamburg, 1965.
Mit herzlichem Dank an Rolf Müller für seine Informationen zur Firma F.W. Müller.