Ringelnatz in Wurzen
Johannes Pätzold (* 19.6.1920)
1984
Öl auf Hartfaserplatte
H 70 cm x B 50 cm
signiert, u.r.: Pätzold / '84
Inv.-Nr. V4598K
Das hier vorgestellte Ölgemälde zeigt eine Ansicht der historischen Altstadt von Wurzen. Der Betrachter blickt durch die Gasse Unter der Tanne auf eines der die Silhouette der Stadt prägenden Wahrzeichen, den Turm der Stadtkirche St. Wenceslai: Ein zunächst bekanntes Motiv, welches Künstler und Fotografen bis dahin aus verschiedenen Blickwinkeln heraus vielfach aufgegriffen haben. Die Gebäude links und rechts der Gasse sind vereinfacht dargestellt und auf ihre geometrischen Grundformen reduziert. Topographische Genauigkeit ist nicht angestrebt. Über der Ansicht liegt eine zweite Bildebene, die Ringelnatz im Profil zeigt. Mit verschmitztem Lächeln liegt er „über“ seiner Heimatstadt. Im rechten unteren Bereich des Gemäldes erkennt man noch ein Seepferdchen, das Ringelnatz wie der Schalk im Nacken sitzt. Pätzold erkundet vordergründig Farben, Linien und Flächen. Blasse und kräftige Farbtöne einer erdigen Farbpalette sowie gelbe und grüne Farbtöne werden mit warmen und kühlen Blautönen kontrastiert. Typisch für viele seiner Werke ist das Anordnen von Figuren und Darstellungen in Kreisen. In der rechten unteren Ecke ist das Bild signiert.
Johannes Pätzold kommt am 19. Juni 1920 in Wurzen als Sohn von Stadtmusikdirektor Franz Pätzold und dessen Frau Olga, geborene Mocker, zur Welt. Bereits auf der Volksschule fällt dem damaligen Kunstlehrer Otto Hempel dessen zeichnerische Begabung auf. Frühe Anerkennung wird ihm zuteil, denn bereits als Gymnasiast stellt er als jüngster Teilnehmer 1935 in der ersten Wurzener Kunstausstellung im Heimatmuseum und nochmals 1938 in der von Volker Engelhardt (Wurzen 1910-1983) kuratierten Kunstausstellung des Kreises Grimma u.a. im Wurzener Stadthaus (drei Landschaftsaquarelle) aus. Eine öffentliche Anerkennung, die in dem Jugendlichen den Wunsch weckt, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. So ist im Katalog dieser Ausstellung vermerkt, dass er später die Kunstgewerbeakademie in Dresden besuchen will.
Seine Jugend findet mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein jähes Ende. Nach Reichsarbeitsdienst, Wehrdienst und sowjetischer Kriegsgefangenschaft (Wismar), kehrt er 1945 nicht in seine sächsische Heimat zurück. Zufällig gerät er ins niedersächsische Rathlosen (südlich von Bremen), wo er zunächst als Knecht auf einem Bauernhof arbeitet und später in Bremen Kunst studieren will. An der Bremer Kunstschule belegt er einen einjährigen Zeichenkurs. 1958 zieht der mittlerweile verheiratete Pätzold mit seiner kleinen Familie nach Sulingen, arbeitet dort zunächst als Hilfsarbeiter in einem Kabelwerk, später wechselt er als kaufmännischer Angestellter zur BEB Erdgas und Erdöl GmbH Barenburg.
Sein Kindheitstraum, hauptberuflich als Künstler zu arbeiten, hat sich demnach nicht erfüllt. Doch wann immer in seiner Freizeit möglich, zeichnet und malt er und ist mit seinen Arbeiten auf in- und ausländischen Ausstellungen vertreten. Einer Kunstrichtung lässt sich sein Werk nicht zuordnen. Vor allem der Mensch steht bei ihm im Mittelpunkt der Betrachtung. Zahlreiche späte Arbeiten wie diese spiegeln seine Auseinandersetzung mit der klassischen Moderne. Bleistift oder Farben und Papier sind bis ins hohe Alter ständige Begleiter. Die Motive sind dabei genauso vielfältig wie die angewandten Techniken und Stile. 1980 gehört er zu den Gründungsmitgliedern des in Syke gegründeten Vereins "Kunst in der Provinz". 1988 erhält er als erster Künstler den Kulturpreis der Stadt Sulingen.
Das Kulturhistorische Museum hat 2020 mit 2.168 Grafiken und 83 Gemälden den umfangreichen Künstlervorlass Pätzolds übernommen.
Familiär und emotional bleibt Pätzold seiner Heimatstadt Wurzen, die er immer wieder besucht, eng verbunden. Das belegen zahlreiche Arbeiten, die Ansichten von Wurzen zeigen. Pätzold ist Ringelnatzanhänger und stolz auf die gemeinsame Herkunft. Erst spät jedoch entstehen Arbeiten, die auf das Ringelnatzimage der Stadt Wurzen Bezug nehmen. 1983 wird der 100. Geburtstag von Ringelnatz in Wurzen unter anderen damit begangen, dass dessen frisch saniertes Geburtshaus (Am Crostigall 14) den Namen "Ringelnatzhaus" bekommt und zu dessen Ehren auf dem Wurzener Markt der Ringelnatzbrunnen errichtet wird. Offenbar nicht lange danach entsteht 1984 das hier vorgestellte Ölgemälde, 1990 noch zwei Linolschnitte (V3970K, V3971K), die auf einer mit dem Gemälde vergleichbaren Bildidee beruhen.
Das Gemälde ist noch bis zum 16.9.2023 in der Sonderausstellung „StadtAnsichten“ in der Städtischen Galerie „Am Markt“ zu sehen.
Literatur:
Beilage zum Wurzener Tageblatt, Nr. 113 vom 15. Mai 1935.
Beilage zum Wurzener Tageblatt, Nr. 270 vom 19. November 1938.
Kunstausstellung des Kreises Grimma. Verzeichnis der Künstler und ihrer ausgestellten Werke, hrsg. vom Kulturamt der Stadt Wurzen, Wurzen 1938, S. 8.
Kurth-Schuhmacher, Martina, Am 5. Juli: Schinkenbrot und Milch, in: Kreiszeitung Syke vom 6.7.2019.