Seesack von Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz
Inv. Nr.: VIII440A
Datierung: um 1914
Höhe: 85 cm
Durchmesser: 45 cm
Material: Leinen imprägniert, Jute, Metallschnallen
Beschriftet mit weißer Farbe: Bötticher [Geheimzeichen] / 2. M.D. 3.K. / 894
Elisabeth Appel, die Schwester von Ringelnatz‘ Ehefrau Muschelkalk, übergibt den Seesack im Jahr 1999 an die damalige Museumsleiterin Angelika Wilhelm – dazu auch eine Fahrkarte von Leipzig nach Hamburg aus dem Jahr 1901 sowie einen getrockneten Veilchenstrauß und einen Briefumschlag mit einer Notiz von Georg Bötticher.
Der langgehegte Traum von der Arbeit auf See erfüllte sich für den siebzehnjährigen Hans Bötticher, später bekannt als Joachim Ringelnatz, im Jahr 1901. Sein Vater, der Musterzeichner und Schriftsteller Georg Bötticher, besorgt ihm eine Lehrstelle als Schiffsjunge auf dem Segelschiff "Elli". Er begleitet seinen Sohn im April 1901 zum Antritt der Lehre nach Hamburg. Vater Georg hebt die Fahrkarte und den kleinen Strauß, den der Sohn ihm beim Abschied zuwirft, auf und notiert dazu:
Billet und Veilchenstrauß, den mir Hans in Hamburg, als wir Abschied nahmen (5ten April früh 9 Uhr 1901), noch in's Coupé warf. Nachschrift. 10. Oct. 1901: Hans kam von seiner Reise nach Westindien (Belize) am 29 Sept. 1901 früh 11 Uhr bei uns an u. blieb bis zum 9 October bei uns. An diesem Tage Nachmittag 4.40 reiste er wieder ab.
Die schlechten Arbeitsbedingungen und die Erniedrigungen seiner Kollegen machten die anfängliche Euphorie des Schiffsjungen schnell zunichte. Bei einem Landgang in Belize nutzt er die Gelegenheit, um in den Urwald zu fliehen, verirrt sich dort und wird nach wenigen Tagen von der Polizei aufgegriffen und zurück an Bord gebracht.
Nach der Zeit als Schiffsjunge und Leichtmatrose folgen Anstellungen als kaufmännischer Lehrling in einer Dachpappenfirma, als Kommis, Buchhalter, Tabakladenbesitzer und Privatbibliothekar sowie erste Auftritte als Kabarettist in der Münchner Künstlerkneipe „Simplicissimus“, bis er sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges freiwillig zur Marine meldet. Ganz nach dem Motto des walisischen Marschliedes aus dem Jahr 1915 „So pack up your troubles in your old kit-bag and smile, smile, smile“ (Pack die Sorgen in deinen alten Seesack und lächle) beschreibt er im Buch „Als Mariner im Krieg“ seine Gefühle vor dem Aufbruch: „Ich dachte an Kriegsromantik und Heldentod, und meine Brust war bis an den Rand mit Begeisterung und Abenteuerlust gefüllt.“ Der Seesack mit der Aufschrift Bötticher [Geheimzeichen] / 2. M.D. 3.K. / 894 – also 2. Matrosen-Division 3. Kompanie, Nr. 894 – stammt aus dieser Zeit.
Im November 1918 kehrt Hans Bötticher völlig mittellos von der Kaiserlichen Marine zurück nach München und erschafft ab 1919 unter dem Pseudonym Joachim Ringelnatz die derb humoristische Kunstfigur des Seemanns Kuttel Daddeldu, für deren Rolle er bei Bühnenauftritten auch selbst in Matrosenuniform schlüpft.
Literatur:
Huck, Stephan/Pieken, Gorch/Rogg, Matthias (Hrsg.), Die Flotte schläft im Hafen ein. Kriegsalltag 1914–1918 in Matrosen-Tagebüchern, Wilhelmshaven, Dresden 2014.
Möbus, Frank et al. (Hrsg.), Ringelnatz! Ein Dichter malt seine Welt, Göttingen 2000.
Pape, Walter (Hrsg.), Joachim Ringelnatz. Das Gesamtwerk in sieben Bänden, Berlin 1983, Band 7