Willkomm-Pokal der Kürschnerinnung Wurzen
Um 1714, ergänzt um 1753 und 1853
Zinn, gegossen und graviert;
Meisterstempel: CS am Medaillon von 1853
H 46,5 cm x Dm 13,5 cm (gesamt)
Inv.-Nr. V255C
Handwerker waren in den Städten des Heiligen Römischen Reiches vom späten Mittelalter und im Königreich Sachsen bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im Jahr 1862 in Zünften (= Innungen) organisiert. Diese hatten eine feste Struktur (Meister, Geselle, Lehrling) und kontrollierten die Zahl der Arbeiter im jeweiligen Gewerk und die Qualität der Produkte. An der Spitze standen die „geschworenen Meister“, die von den Mitgliedern der Zunft gewählt wurden und eine bestimmte Zeit lang die Innungsgeschäfte führten. Im Rahmen der zünftigen Traditionen nahm die oftmals repräsentativ gestaltete Zunftlade, eine Sonderform der Truhen, mit den wichtigsten Unterlagen (z.B. Innungsstatuten) und dem Vermögen der Innung eine zentrale Stellung ein. Darüber hinaus kamen auch Zinngefäße wie Willkomm-Pokale, Schleif- und Schenkkannen oder Becher im Rahmen von zeremoniellen Ritualen zum Einsatz. Verwendet wurden sie bei Gesellen- oder Meistererhebungen, bei Rechtsakten oder den regelmäßigen Zusammenkünften der Zunft, etwa beim Willkommenstrunk mit Gästen. Als genossenschaftliches Eigentum repräsentierten sie den sozialen Rang der jeweiligen Zunft. Der Willkomm wurde bei zünftigen Anlässen ausgestellt und mit dem übrigen Zunftzinn in Zunftladen aufbewahrt, die auch die Gestalt repräsentativer Buffets annehmen konnten.
Bei dem Willkomm der Kürschnerinnung Wurzen handelt es sich um einen hohen Zinnpokal mit Deckel. Auf dem Deckel steht auf einem flachen runden Piedestal ein gerüsteter, behelmter Schildhalter, der in seiner erhobenen Linken eine bewegliche Fahnenlanze und in seiner Rechten einen Schild mit der vierzeiligen Inschrift „SOLI / DEO / GLORIA / 1714“ geneigt hält. Zwei jeweils an einer Öse und Draht befestigte, konvex geformte ovale Medaillons mit gravierter Inschrift und umrahmt von Laubwerkdekoration hängen am Pokalkorpus. Der Draht, von dem die Medaillons herabhängen, läuft durch das Maul der fünf in dieser Höhe am Korpus angebrachten Löwenköpfe in Flachrelief. Fünf gleichartige Löwenköpfe schmücken den unteren Bereich des Pokals. Der zylindrische Teil des Trinkgefäßes dazwischen blieb unverziert. Deckel und Fahnenlanze sind abnehmbar, die Medaillons sind freischwingend.
Aus den beiden Medailloninschriften, die sich in ihrer Schriftart unterscheiden, gehen zwei verschiedene Stiftungsanlässe hervor:
A „Dieses / Schildt an diesen / Willkom zu Ehren Einer Löblichen Leihen Sociötet zum angedenck verehret vom Meister Andreas Som(m)ern. Bürger und Kirschner, ist zum Vorsteher er wehlet worden 1720 27. May und vorgestanden bis 1753 5. Märtz."
B "Zum Andenken des 200 jährigen Jubiläums verehrt von den dermaligen Mitgliedern dieser Gesellschaft. Wurzen, d. 23. April 1853"
Im selben Jahr als Andreas Sommer erstmals zum Vorsteher gewählt wurde, übernahm Christian Bennewitz die Kürschnerei von seinem Vater David, welcher 1652 aus Döbeln gekommen war, um sich in dem Haus an der Ecke Eilenburger-/Schuhgasse (heute Albert-Kuntz-Straße 1) mit seinem Handwerk in Wurzen niederzulassen. Der Familienbetrieb sollte in Wurzen über neun Generationen bis 1953 Bestand haben. Zu klären bleibt, ob und welche familiäre Beziehung zwischen der Kürschnerfamilie Sommer und dem Großkaufmann und Rauchwarenhändler Carl Gottlieb Sommer bestand, der mit 32 Jahren 1789 das heutige Museum erwarb und 1813 Napoleon bei sich übernachten ließ.
Literatur:
G. Schade, Deutsche Goldschmiedekunst, Leipzig 1974.
R. Klinkhardt, Kürschnermeister feiert Geschäftsgründung, in: MTZ vom 29.11.2002